„Ferien an der Schwarzmeerküste“ – unter diesem Motto veranstaltete Radio Rumänien International in diesem Jahr einen Hörerwettbewerb, in dem es galt, drei Fragen über Rumänien und die Schwarzmeerküste zu beantworten. Die Gewinner des Hauptpreises durften sich auf einen einwöchigen Ferienaufenthalt für zwei Personen im Badeparadies Saturn freuen.
Kann man wirklich so viel Glück haben? Das dachte ich, als mich am 9. Juni eine E-Mail der deutschen Redaktion von Radio Rumänien International erreichte, in der ich erfuhr, dass ich der Gewinner des Wettbewerbs sei. Nachdem ich meine Fassung wieder fand, informierte ich meine Frau Linda und schrieb eine kurze E-Mail nach Bukarest, in der ich mitteilte, dass wir uns beide sehr auf die Reise freuten.
Am 14. Juli 2005, pünktlich um 16.10 Uhr rumänischer Ortszeit erreichte die Maschine der rumänischen Fluggesellschaft Tarom, bei der wir einen Direktflug ab Frankfurt gebucht hatten, den internationalen Bukarester Flughafen Otopeni. Alex Sterescu von der deutschen Redaktion wartete bereits auf uns, als wir in der Empfangshalle eintrafen. Die Fahrt an die Schwarzmeerküste sollte etwa drei Stunden dauern. Deshalb ging es nach einem ersten Foto für die Internetseite auch gleich los. Der Autoverkehr in Bukarest ist, will man das Wort „chaotisch“ vermeiden, zumindest sehr beeindruckend. Konstantin, der Chauffeur schaffte es dennoch souverän, uns sicher aus der Stadt heraus zu manövrieren. Golden leuchteten die zahllosen Sonnenblumenfelder, die rechts und links der erst kürzlich eröffneten, leider noch nicht ganz vollendeten Autobahn nach Constanta erblühten. Zugleich zeugen nicht gerade wenige Industrieruinen und sanierungswürdige Plattenbauten von den Jahren der Ceausescu-Diktatur. Entlang der Straße nach Constanta sahen wir auch mehrere alte, teils verfallene Planwagen, wo Roma-Familien ein Leben in unvorstellbarer Armut führen. In krassem Gegensatz zu diesen traurigen Existenzen am Rande der Gesellschaft stehen die zahlreichen Boten der modernen Zivilisation: Riesige Reklametafeln von McDonalds, Metro- oder Praktikermärkten, Raiffeisenbanken und Automobilkonzernen belegen das rasche Vordringen westlicher Investoren auf dem rumänischen Markt.
Geradezu dramatisch wurde die Fahrt, als wir uns Constanta näherten. Wir befanden uns plötzlich mitten in den Überschwemmungsgebieten. Nach den schweren Regenfällen der vergangenen Tage waren die Straßen teilweise derart überflutet, dass sie kaum zu passieren waren. Etwas verspätet aber dennoch sicher erreichten wir erst gegen 20.00 Uhr unser Hotel im Ferienort Saturn. Nach einem leckeren Abendessen und einem Schlummertrunk in einer gemütlichen Bar am Strand fielen wir vor Müdigkeit regelrecht ins Bett.
Alex und Konstantin mussten uns am kommenden Morgen nach einem Foto am Strand und einem ersten Interview für die Abendsendung wieder verlassen.
Unser Hotel lag direkt am Strand und wir hatten vom Balkon aus einen herrlichen Blick auf das Meer. Keine Frage, dass wir die Tage zu ausgiebigem Baden in der strahlenden Sonne und den kühlenden Fluten nutzten. Eine ganze Woche voll Sonne, klarem Wasser, Sandstrand, Liegestühlen, Sonnenschirmen und gutem Essen stand vor uns – hier könnte meine Erzählung also enden.
Dass die rumänische Schwarzmeerküste weit mehr zu bieten hat, wussten wir bereits aus Büchern, Reiseführern und den Sendungen von Radio Rumänien International. So begannen wir schon am folgenden Tag, die Umgebung zu erkunden. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg ins nahe gelegene Mangalia, das in der Antike noch Callatis hieß. Neben Constanta, dem früheren Tomis und der heute nicht mehr bewohnten Stadt Histria war Callatis schon mehr als sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung eine bedeutende griechische Siedlung, die in späteren Jahren von den Römern zur Festung und Hafenstadt ausgebaut worden war. Zahlreiche Spuren erinnern noch heute an diese Zeit, darunter besonders die römischen Festungsmauern, die im Innern des Hotels „Präsident“ besichtigt werden können. Faszinierend sind auch die vielen griechischen und römischen Exponate im archäologischen Museum der Stadt Mangalia, die von Münzen über tönernen Lämpchen bis hin zu kunstvollen Vasen und Steinhauerarbeiten reichen und den Besucher zu einer erlebnisreichen Zeitreise zurück in die Antike einlädt.
Die katholische und die orthodoxe Kirche sowie die Moschee Esmahan Sultan sind Zeugen der vielfältigen Kulturen, die Mangalia und die gesamte Region Dobrudscha in den folgenden Jahrhunderten geprägt haben. Besonders sehenswert ist der direkt neben der Moschee gelegene islamische Friedhof. Alte, teilweise umgestürzte Grabsteine und Grabplatten mit geheimnisvollen orientalischen Schriftzeichen erinnern an die Jahrhunderte, in denen die Schwarzmeerküste unter türkischem Protektorat stand.
An die türkische Zeit erinnern auch die beiden Moscheen in Constanta oder das Städtchen Babadag, das wir auf der Fahrt zu unserer Exkursion ins Donaudelta streiften. In Babadag gibt es auch heute noch einen hohen türkischen Bevölkerungsanteil und zahlreiche Moscheen. Persönlich besichtigen konnten wir die große Moschee von Constanta. Nicht enden wollende Wendeltreppen führen den Besucher hinauf zum Minarett. Ergreifend ist der Blick hinüber zur großen Kuppel mit dem Halbmond, herrlich bunt die Dächer, Straßen und Plätze der Altstadt, bezaubernd der Blick auf die Küste und hinaus aufs Meer. Nebenan zeugen die katholische und die schöne orthodoxe Kirche „Peter und Paul“ vom friedlichen Miteinander der Religionen und Kulturen im heutigen Rumänien. Auch eine jüdische Synagoge gibt es in Constanta, leider reichte die Zeit jedoch nicht zu einer Besichtigung.
Constanta ist nach Bukarest die zweitgrößte Stadt Rumäniens und zugleich der größte Industrie- und Militärhafen am Schwarzen Meer. Der öffentliche Nahverkehr in Rumänien ist nicht nur sehr preisgünstig, sondern auch recht gut ausgebaut, so dass wir während unseres Ferienaufenthalts zweimal mit dem staatlichen Bus nach Constanta fuhren. Constanta ist eine Stadt vielfältigster Kontraste: Realsozialistische Plattenbauten in den Außenbezirken, vom Verfall bedrohte Fassaden herrlicher Jugendstilhäuser aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, monumentale Statuen des „sozialistischen Realismus“, römische Mosaike und klassizistische Statuen - größer können die Widersprüche kaum sein. Dennoch verbindet sich das Sammelsurium der Gegensätze zu einen reizvollen Ganzen, das den Besucher sofort in seinen Bann zieht. Constanta ist eine unglaublich interessante Stadt mit zahlreichen, teils überraschenden und oft verblüffenden Sehenswürdigkeiten. Im Zentrum der Stadt steht ein großer Platz, der so genannte „Piata Ovidiu“: Eine Statue Ettore Ferraris aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert an die Exiljahre, die der römische Dichter Publius Ovidius Naso hier zugebracht hatte. Auch das Standbild mit Romulus und Remus unter dem Wolf zeugt von römischen Tagen. Die Stadt ist auch bekannt für das Delfinarium und das Planetarium und verfügt zudem über ein naturhistorisches, ein archäologisches und ein Marinemuseum. Im Mosaikmuseum bestaunten wir das größte bekannte Mosaik der Welt. Das Museum für rumänische Volkskunst sollte man sich keinesfalls entgehen lassen. Es präsentiert einen plastischen Querschnitt durch die rumänische, aromunische und moldauische Kultur, Tradition und das kunsthandwerkliche Schaffen des 19. und 20. Jahrhunderts. Farbenfrohe Trachten, Brautkronen, schöne Stickereien und handgeknüpfte Teppiche stehen in Mittelpunkt der Ausstellung. Töpferkunst und schöne Holzschnitzarbeiten ergänzen die Sammlung traditioneller Volkskunst aus allen Regionen Rumäniens. Gerne nutzten wir die Gelegenheit, dort ein paar schöne kunsthandwerkliche Erinnerungsstücke zu günstigen Preisen zu kaufen.
Wer das Casino nicht gesehen hat, der war nicht in Constanta. Eingebettet zwischen Meer und schönen Parkanlagen liegt das vom rumänischen Architekten Daniel Renard erbaute marmorne Casino, strahlend schönes Prunkstück der belle Epoque. Direkt gegenüber erinnert ein Standbild an den rumänischen Dichterfürsten Mihail Eminescu. Gleich nebenan steht ein zierliches altes Gebäude aus byzantinischer Zeit, der „Genueser Leuchtturm“ aus dem 13. Jahrhundert. Genueser Händler bauten sich hier vor dem Einfall der Osmanen einen Landungsplatz aus.
Im krassen Gegensatz zu dieser Vielfalt klassischer Schönheit stehen zahlreiche Monumente aus sozialistischen Tagen, allen voran die „Freiheitsstatue“, ein überdimensionales Standbild mit einer sehr kräftig gebauten, finster und kriegerisch drein blickenden Dame, die von der Bevölkerung schon zu Ceausescus Zeiten mit beißendem Spott überschüttet worden war.
Im Norden der Schwarzmeerküste befindet sich eines der schönsten Naturreservate Europas, das Donaudelta. Mit öffentlichen Transportmitteln ist Tulcea mit seinem Touristenhafen nur schwer zu erreichen. So buchten wir in einem kleinen Reisebüro in Mangalia eine organisierte Reise ins Delta. Auch ein dreigängiges Menü auf dem Schiff mit Fisch aus der Donau war Bestandteil unserer Exkursion. Mit unserem Kleintransporter erreichten wir am Samstag gegen elf Uhr morgens den Touristenhafen von Tulcea. Nach kurzem Aufenthalt ging es mit dem Boot hinaus ins Donaudelta. Nach etwa einer halben Stunde gelangten wir an einen Aussichtspunkt, von dem aus man mit bloßem Auge die ukrainische Stadt Ismail sehen konnte. Kurz danach verzweigte unser Schiff in einen kleinen Seitenarm der Donau, der als besonders kostbares Vogelreservat gilt. Szenen von unbeschreiblicher Anmut boten sich unseren Augen: Kormorane, Reiher, Ibise, Eisvögel und viele andere gefiederte Schönheiten posierten von unseren Augen und Kameras. Wer ins Wasser blickte, konnte Aale auftauchen und kurz danach wieder verschwinden sehen.
Dass die Tage viel zu schnell vorüber gingen, verwundert kaum. Am frühen Morgen des 20. Juli wurden wir in der Rezeption unsers Hotels von Stefan Baciu, dem Organisator unserer Reise und Redakteur der Sendung „Radio Tour“ begrüßt und zum Kaffee eingeladen. Zusammen mit ihm und Chauffeur Marian machten wir uns auf den Weg zurück nach Bukarest. Vorher besuchten wir jedoch noch das verträumte Künstlerdorf Vama Veche an der Grenze zu Bulgarien und streiften fast alle Seebäder des schwarzen Meeres. Die Fahrt in die rumänische Hauptstadt ist sehr kurzweilig. Es gibt unterwegs Vieles zu sehen: Bunte Obststände mit herrlichen Pfirsichen und Aprikosen, altmodische Pferdefuhrwerke und natürlich die zahllosen, strahlend schönen Sonnenblumenfelder prägen das Bild einer endlos scheinenden Ebene.
Als wir am späteren Nachmittag in der deutschen Redaktion von Radio Rumänien International eintrafen, wurden wir schon von der Leiterin der deutschen Redaktion, Irina Adamescu sowie von Julianne Thois, Florin Lungu, Laurentiu Diaconu und Cornelia Stanciu erwartet. Ich bin noch immer von herzlichen und liebenswürdigen Begrüßung gerührt. Nachdem Frau Adamescu uns durch die Studios und Redaktionsräume von Radio Rumänien International geführt hatte, wurde Linda von einer Mitarbeiterin des englischen Dienstes zu einem Interview eingeladen. Im Anschluss führte ich mit Frau Adamescu ein Gespräch, das für die Briefkastensendung aufgezeichnet wurde. Es ging darin vor allem um meine Eindrücke von der Reise, die Aktivitäten und Erlebnisse am schwarzen Meer und die persönlichen Empfindungen am Ende einer ereignisreichen Woche.
In einer anschließenden, knapp zweistündigen Stadtführung erklärte uns Laurentiu Diaconu überaus sachkundig und amüsant viel Wissenswertes über Kultur, Religion sowie die alte und neue Geschichte der rumänischen Hauptstadt: Schmucke Altstadthäuser, sanierungsbedürftige Jugendstilfassaden und wunderschöne, meist orthodoxe Kirchenbauten erinnern an vergangene Zeiten und stehen in krassem Gegensatz zu der erbarmungslosen Kahlschlag-Baupolitik, die der einstige kommunistische Diktator betrieben hatte. Ein Fünftel des alten Stadtkerns wurde rücksichtslos abgerissen, darunter viele historisch bedeutenden Bauwerke. Seine eigene, ganz persönliche Hauptstadt ließ Ceausescu sich hier errichten. Krönung seiner geradezu größenwahnsinnigen Bauwut ist das monströse „Haus des Volkes“, das drittgrößte Bauwerk der Welt nach der chinesischen Mauer und dem Pentagon.
Unsere Stadtrundfahrt endete vor einem besonders markanten Bukarester Bauwerk, dem schönen Rumänischen Athenäum (Ateneul Român) des Architekten Albert Galleron aus den achziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Eine Bronzestatue des Dichterfürsten Mihai Eminescu vor dem Portal bewacht das klassisch schöne Gebäude.
Zum Ausklang gab es ein Abendessen mit den Redaktionsmitgliedern in einem sehr schönen, traditionell rumänischen Restaurant in der Bukarester Innenstadt. Linda und ich verbrachten einen außerordentlich vergnüglichen Abend mit interessanten Gesprächen, feinem Essen und guter Laune in allerbester Gesellschaft. Die deutsche Redaktion von Radio Rumänien International ist ein jugendlich frisches, weltoffenes und überaus liebenswertes Team. Wen wundert es da, dass die deutschsprachigen Sendungen so lebendig und ansprechend sind.
Abschied nehmen fällt immer besonders schwer, wenn man ein Stück seines Herzens zurück lassen muss. Es bleiben jedoch viele unvergessliche Eindrücke und Erinnerungen sowie die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in Rumänien.
Helmut Matt
23. Juli 2005