Die Geschichte von Seoul 

 


nach: Seoul – The making of Metropolis
Joochul Kim, Sang-Chuel Choe 1997



Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Seoul über 500 Jahre die Hauptstadt der „Yi-Dynastie“. Sie wurde im Jahre 1394 gegründet und nach Feng-Shui-Prinzipien geplant. Die Stadt wurde nördlich des Han - Flusses und im Schutz der südlich der angrenzenden Berge innerhalb einer Stadtmauer errichtet. Sie wurde von 100.000 bis 200.000 Personen bevölkert und hatte eine Flächenausdehnung von 16,5 Km². Die Bevölkerungszahl sowie die Flächenausdehnung blieb über die Jahrhunderte relativ konstant. Die Bevölkerungsdichte schwankte in dieser Zeit zwischen 60 und 120 Personen pro Hektar. Die marginalen Veränderungen vollzogen sich innerhalb der Stadtmauer. Als Hauptstadt hatte Seoul immer eine besondere Bedeutung. Die Bevölkerung sah es als außerordentlich besonders an, in der Hauptstadt leben, studieren, oder diese besuchen zu können. Hier waren alle wichtigen administrativen, militärischen, und lehrenden Institutionen zusammengefasst. 


Korea war als das verschlossene Königreich bekannt und hatte praktisch keinen Kontakt mit der Außenwelt. Das Staatssystem beruhte auf den strengen Regeln des Konfuzianismus und der Agrarwirtschaft. Die Öffnung Koreas zur modernen Welt wurde erst 1876 durch Unterzeichnung des Kanghwa - Abkommens mit Japan eingeleitet.

Von 1909 bis 1945 wurde Korea von Japan besetzt und hatte den Status einer Kolonie. Während dieser Zeit wurde ihr der Hauptstadtstatus abgesprochen. Neben schmerzhaften Eingriffen in die koreanische Kultur wurden substantielle Änderungen an der städtebaulichen und wirtschaftlichen Struktur Seouls durchgeführt. Die Stadt entwickelte sich in dieser Zeit zu einem modernen Wirtschafts-, Finanz- und Verwaltungszentrum. Die Japaner erweiterten die Infrastruktur und bauten Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien und Straßenbahnen, behielten aber die zentralistische Funktion der Stadt bei. Bis 1936 vergrößerte sich die Stadt auf 134 Km², was der zehnfachen Größe des ursprünglichen Stadtraumes entspricht. Während der japanischen Besetzung Koreas gingen viele Landwirte finanziell bankrott und zogen nach Seoul, mit der Hoffnung dort ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Als Behausung dienten unterirdische Erdverschläge auf staatlichem Grund. Inoffizielle Siedlungen mit dieser besonderen Wohnform waren bis in die Zeit nach der Liberalisierung 1945 weit verbreitet. 

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Nach Beendigung der japanischen Kolonialherrschaft im Jahre 1945 wurde Seoul wieder zur Hauptstadt Koreas erklärt. In der Zeit von 1945 bis 1949 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner von ca. 0,8 auf 1,6 Millionen. Damit einhergehend verdoppelte sich die bebaute Fläche auf ca. 268 Km². Der starke Bevölkerungsanstieg ist hauptsächlich auf den Zustrom von Wieder-Einwanderern zurückzuführen, die aus Gebieten Koreas, Chinas und Japans stammten. Mit Einbruch des koreanischen Bürgerkrieges im Jahre 1950 kam die Expansion der Hauptstadt zum Stillstand. Während des dreijährigen Krieges wurden fast die Hälfte der bestehenden Gebäuden zerstört. Nach Beendigung der Kämpfe im Jahre 1953 wurde Seoul zur Hauptstadt Süd-Koreas erklärt. In der Zeit danach wurde der Wiederaufbau und die Modifikation der Infrastruktur relativ planlos und radikal vorgenommen. Korea war auf allen Ebenen damit beschäftigt, sich von der japanischen Besatzung und dem Bürgerkrieg zu erholen. Daher wurden die begrenzten zur Verfügung stehenden Mittel nicht dem Investitionsbedarf gerecht, insbesondere hinsichtlich der Schaffung einer funktionierenden Infrastruktur und Wohnraum. Viele Menschen kamen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Stadt. Während die Bevölkerung stark anwuchs mangelte es an funktionstüchtiger Infrastruktur, Wohnungen und öffentlichen Einrichtungen. Die Stadt-Regierung hatte praktisch keine Pläne für die zukünftige Entwicklung der Stadt. Die meisten Stadtentwicklungspläne wurden schnell entworfen, in kleinem Kreis unreflektiert verabschiedet und umgesetzt.

Ab Anfang der 60er Jahre gab es einen Umschwung in der Industriepolitik des Landes. Das bislang überwiegend agrarwirtschaftlich geprägte System sollte auf exportorientierte Industrie umgestellt werden. Durch die Ansiedlung solcher Betriebe in Städten wurde die Landflucht beschleunigt, so dass Seoul 1969 ca. 5.000.000 Einwohner und eine Flächenausdehnung von ca. 613 Km² hatte. Ab 1964 wurde offiziell mit verschiedenen Mitteln versucht, das explosive Bevölkerungswachstum der Stadt einzudämmen, allerdings ohne Erfolg. So lag es in den 70er Jahren durchschnittlich bei ca. 300.000 Personen pro Jahr. 


Bis Ende der 60er Jahre wuchs die Stadt nördlich des Han - Flusses um ihren historischen Kern. Die Bauweise war überwiegend eingeschossig, wie traditionell üblich. In den 70er und 80er Jahren wurde die Stadt auch südlich des Han - Flusses erweitert. Hier entstanden moderne Apartment-Hochhäuser nach westlichem Vorbild, die in orthogonalen, gleichförmigen Strukturen angelegt wurden. 

Auch in den 60er und 70er Jahren bestand eine große Mehrheit der Siedler aus Bauern, die das Land verließen, um in der Stadt nach besseren Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen. Die dichten, meistens ohne offizielle Baugenehmigung auf staatlichem Land errichteten Siedlungen wuchsen überwiegend in bereits existierenden Quartieren. Die Langzeit-Bewohner verbesserten ihre Behausungen, indem sie massive Häuser mit traditionellen koreanischen Ziegeldächern errichteten. Damit unterschieden sich diese Siedlungen äußerlich kaum mehr von denen, die in regulären Bebauungsgebieten errichtet wurden, außer das diese mit offiziellen Genehmigungen gebaut wurden und auf dem offenen Markt frei verkauft werden konnten.

Dennoch wurden seit der späten 70er Jahre sogenannte Slumbereinigungsprojekte durchgeführt, die zur Folge hatten, dass die Bewohner der inoffiziellen Siedlungen in Gebiete umgesiedelt wurden, die weiter vom Stadtzentrums Seouls entfernt waren. Diese Gebiete waren nicht mit den essentiellen Versorgungen, wie Wasser, Abwasser und Anschluss ans öffentliche Verkehrsnetz versehen. Daher verschlechterte sich der Lebensstandard der Umsiedler. Auch die neuen Behausungen wiesen einen starken Mangel an Versorgungseinrichtungen auf. 

In den Gebieten, die zuvor von Familien mit niedrigen Einkommen bewohnt wurden, entstanden in Regel 5 bis 15-stöckige Apartmenthochhäuser für Familien mit mittleren bis hohen Einkommen. Während diese Stadtteile ursprünglich von urbanem Leben geprägt waren, wurden sie von diesem Zeitpunkt an überwiegend zum Wohnen genutzt. Damit wurde den meisten Bewohnern die Möglichkeit genommen, in ihrer unmittelbaren Umgebung wohnen und arbeiten zu können.

Während der 80er Jahre, im Rahmen der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1988, unterzog die Stadtregierung Seoul umfassenden Umbaumaßnahmen. Neben dem Bau olympischer Dörfer und Sportbauten wurde die existierende öffentliche Infrastruktur erweitert. In diesem Zusammenhang kam es z.B. zum Bau neuer U-Bahnlinien und Schnellstraßen. Die Gebiete um das olympische Viertel wurden Stadterneuerungsprojekten unterzogen. 

Ende der 80er Jahre lebten in Seoul über 11.000.000 Menschen. Die Stadt hatte zu diesem Zeitpunkt schon unkontrollierbare Ausmaße erreicht und war über die, ursprünglich als äußere Stadtgrenze geplanten Grüngürtel hinausgewachsen. Mitte der 90er Jahre bedeckte sie eine Fläche von über 605 Km². 


Korea hat sich in sehr kurzer Zeit von einer Agrargesellschaft zu einer komplexen industriellen Gesellschaft entwickelt. Die Urbanisierungsrate gehört in den letzten 35 Jahren weltweit zu den höchsten der Welt. 1970 lag sie bei ~ 50%, 1980 bei ~69% und 1990 bei 75%. Seoul übt eine besondere Anziehungskraft auf den Großteil der koreanischen Bevölkerung aus. Dies ist in der historischen Funktion als Regierungs- und Bildungszentrum begründet. Noch heute befinden sich hier diesbezüglich alle wichtigen Einrichtungen. 1994 lebten in der „Seoul Metropolitan Region“ ca. 17 Millionen Menschen, was 39% der gesamten Bevölkerung Koreas entsprach. In dieser Region fanden sich 60% der Bankdepots, 59% der nationalen Produktion, 42% der Krankenhäuser, 52% der Dienstleistungsbetriebe, 41% der Uni-Studenten und 57% aller Arbeitsplätze. Des weiteren waren hier 57% aller nationalen Geschäftsbetriebe ansässig.  


Bis 1970 bestand die Bebauung überwiegend (zu 88,4%) aus eingeschossigen Wohnbauten mit offenen Höfen. Bis 1990 wurde der Anteil dieses Gebäudetyps auf 46,1% reduziert. Damit einhergehend wurden Wohn- und Arbeitsbereiche getrennt und somit die Funktionsmischung in den Quartieren eliminiert. Die neuen Apartmentblöcke wurden nach modernem, westlichen Vorbild errichtet. Dabei handelte es sich um geschlossene Blöcke ohne Hof. Im Gegensatz zur traditionellen Architektur, in der es nur wenig klar definierte Funktionsbereiche gibt, ist bei den modernen Wohnungen die Raumstruktur klar definiert. Es gibt Wohnzimmer, Esszimmer, innenliegende Bäder, Küche und Schlafzimmer. Auch in der unmittelbaren Nachbarschaft von alten Gebäude werden Apartmenthochhäuser gebaut. Ihr Anteil an der Bebauung stieg von 4,1 % im Jahre 1970 auf 35,1% im Jahre 1990. Viele Koreaner betrachten die Vorteile der großen Wohnungen mit gehobenen Ausstattungsstandard sowie die vermeintliche Sicherheit vor Einbrüchen. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die sich über die negativen Auswirkungen dieser Wohnweise äußern. Abgesehen von dem monotonen Erscheinungsbild der Quartiere und dem Mangel an ausreichenden
Abstandsflächen ist diesbezüglich insbesondere die psychische Belastung der Kinder aufgrund des Mangels an natürlichen, offenen Flächen von Relevanz. 

Derzeit wird in den historischen Stadtgebieten die Struktur noch von Grundstücken mit niedriger Bebauung und in Besitz von Einzelfamilien dominiert. Mit steigender Bevölkerung, aber limitierten Raum für städtische Entwicklung ist es sehr wahrscheinlich, dass die zukünftige Wohnraumschaffung verstärkt durch die Konstruktion von Apartmenthochhäusern in allen Teilen der Stadt realisiert wird. Dies betrifft die Neubauplanung auf noch unbebauten Flächen ebenso, wie die Umbauten vorhandener städtebaulicher Strukturen. 
Verglichen mit Japan, wo die Wohnungen durchschnittlich eher klein sind, bevorzugen die Koreaner große, geräumige Wohnungen. Dieser Trend ist ablesbar an dem steigenden Anteil großer Wohnungen am Gesamtbestand. Während 1975 nur 16% aller Wohnungen größer als 100m² waren, stieg ihr Anteil bis 1990 auf über 33%. Diese Entwicklung trägt zu noch höherem Bauvolumen und Verdichtung innerhalb der Stadt bei. Des weiteren verstärkt es den Effekt des wachsenden Wohnraummangels. Allerdings hat sich der Maßstab und die Beurteilung der Lebensqualität in den privaten Raum der Wohnung verlagert. Die Lebensqualität wird in erster Linie nach der Größe des verfügbaren Wohnraums gemessen. Dieser dient als wichtiger Erholungsraum vom täglichen Stress und dem stark bevölkerten und verdichteten Wohnumfeld. 

Die Gestaltung des Wohnumfeldes ist Voraussetzungen für das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bevölkerung. Stark verdichteter Wohnraum mit fehlender Urbanität und ohne ausreichende Abstands- sowie Ausgleichflächen ist bezüglich der Erholungsmöglichkeiten vom täglichen Arbeitsstress sehr kritisch zu betrachten. In Korea wird versucht durch Wohnungsbauprogramme durchschnittlich jedem Koreaner ein eigenes Zimmer als Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dieser erhöhte Wohnraumbedarf entspricht dem Trend westlicher Industrieländer. Während die Bevölkerung mit mittleren und hohe Einkommen in den Genuss von großen Wohnungen mit z.B. Annehmlichkeiten wie Zentralheizungen, Küchen und Vollbädern nach westlichem Vorbild kommen, werden die Gruppen mit niedrigen Einkommen diesbezüglich vernachlässigt. In den ursprünglichen, von Urbanität geprägten Vierteln mit niedriger Bebauung herrscht im Vergleich zu den Neubaugebieten ein geringerer Ausstattungsstandard. Allerdings werden diese Bereiche von intensiven sozialen und geschäftlichen Wechselbeziehungen geprägt. Dieses Netzwerk mit seinem sozialen Mosaik ist sehr effektiv und ermöglicht es vielen Bewohnern, ihren Lebensunterhalt in Nähe ihrer Wohnung zu verdienen. Der geringere Wohnstandard tritt in Bezug auf die Erfüllung der Grundlebensbedürfnisse in den Hintergrund. Die neuen Wohnsiedlungen verursachen aufgrund ihrer fehlenden Urbanität Verkehrsströme zu Arbeitsplätzen, Geschäftsvierteln und Erholungsräumen. 

Thorsten Schütze, Hamburg, 19.06.2000


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